Für eine Kirche, die sich zu den Menschenrechten bekehrt
von Regina Nagel
Interview mit Burkhard Hose
Das folgende Interview wurde über „Zoom“ geführt und aufgezeichnet. Fragen und Antworten wurden in weiten Teilen wörtlich in den Text übernommen.
Regina Nagel:
Lieber Herr Hose, Ihre bisherigen Buchtitel erinnern an die inzwischen weit hinaus bekannte iranische Ballade „Baraya“. Übersetzt bedeutet das „wegen, dafür oder einfach für“. In Ihren Buchtiteln findet sich: „Für ein neues Wir!“, „Für ein politisch engagiertes Christentum!“ „Für eine neue Vision von Christsein!“. Anderen Titeln ihrer Bücher kann man das „für“ problemlos hinzufügen, z.B. „Für Frauen ins Amt“, „Für neue Maßstäbe für unsere Gesellschaft!“. Im aktuellen Buch „Verrat am Evangelium?“ lautet der Untertitel und die Forderung: „Für eine Kirche, die sich zu den Menschenrechten bekehrt.“ Wenn Sie an die aktuelle Situation unserer Kirche, unserer Gesellschaft und der ganzen Welt denken – welches „Für“ liegt Ihnen heute, ganz aktuell, am meisten am Herzen?
Burkhard Hose:
Das „Für Menschenrechte“ und damit auch für eine Gesellschaft und für eine Kirche, die sich bekehrt, ist das, was mir am wichtigsten ist, weil es am umfassendsten ist. Es bezieht die Erfahrung mit ein, die ich mit Menschen gemacht habe, die auf der Flucht sind und die hier versuchen, anzukommen. Das war das Thema des ersten Buches. Es bezieht die Gedanken des zweiten Buches – „Für ein politisch engagiertes Christentum“ - mit ein, wo ich ja in der KHG immer wieder viele junge Leute erlebe, die sich dafür einsetzen, dass Menschen in ihrer Würde anerkannt werden. Ob im Asylarbeitskreis, in Arbeitskreisen, in denen Studierende Freizeit mit Menschen mit Behinderung oder mit Inhaftierten verbringen. Wichtig ist mir auch „Frauen ins Amt“. Dieses Buch betrifft ein Menschenrecht, auch wenn immer wieder gesagt wird: Es gibt kein Recht aufs Amt. Spätestens wenn man das Buch „Weil Gott es so will“ gelesen hat, weiß man, wie stark das eingreift in das Leben von Frauen, dass der Zugang zu diesen Ämtern verwehrt ist. Es geht nicht nur um Weihe, sondern um das Gefühl: Ich bin minderwertig. Das ist eine menschenrechtliche Frage. Und jetzt im letzten Buch habe ich ohnehin bemerkt, dass die Themen, die mir in den letzten Jahren in der Kirche begegnet sind, z.B. auch im Zusammenhang mit „#OutinChurch“, alles menschenrechtliche Fragen sind. Die Anerkennung der Selbstbestimmtheit von Menschen, das ist ein Kernthema, und zwar gerade in der Kirche. Mir ist das „Für“ sehr wichtig, denn ich glaube an eine Welt, die von den Menschenrechten bestimmt sein kann.
Regina Nagel:
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass das Christentum in seinen Anfängen ein attraktiver Anziehungspunkt für Menschen war, die eine andere Gesellschaftsordnung herbeisehnten. Dass Kirche und gerade auch die römisch-katholische Kirche weitgehend als unattraktiv wahrgenommen wird, ist nicht zu übersehen. Dennoch sind Sie noch dabei und gestalten engagiert mit. Wo erleben oder gestalten Sie selbst Kirche als positiv attraktiv? Inwiefern engagieren Sie sich als kirchlicher Mitarbeiter aktiv für Menschenrechte?
Burkhard Hose:
Ich hab das Glück, dass ich seit 2008 in der KHG in Würzburg arbeiten darf und dauernd von jungen Leuten umgeben bin, für die das ein drängendes Thema ist. Da erlebe ich Engagement für Menschenrechte ganz konkret, darf es selbst miterleben. Das ist halt das Tolle, wenn man mit jungen Leuten zu tun hat, dass Menschen, die mit dem Studium fertig sind, sich gezielt verabschieden und sagen: „Es war für mich eine ganz prägende Zeit, in der ich gemerkt habe, was jetzt zu mir gehört, welche Werte mir auch wichtig sind.“ Ich hab das nie als Randthema erlebt. Es ist ein Privileg, dass ich das als Kernaufgabe leben und sehen kann. Ich hab das oft aber auch außerhalb der Kirche oder des kirchlichen Rahmens erlebt. Bis vor drei Jahren hat mich ja mehr bewegt, was zivilgesellschaftlich los ist und ich hab mich da verbunden. Und beruflich hab ich einfach Glück, in einem Team arbeiten zu können, wir sind ja sieben Leute, wo es eine große Sensibilität gibt, wo es auch eine große Übereinstimmung gibt, was uns wichtig ist.
Inzwischen treibt mich vermehrt das Thema Geschlechtergerechtigkeit um. Auch eine Hochschulgemeinde ist immer noch auf den Priester hin ausgerichtet. Mir war es wichtig, auch in meinem direkten Arbeitsumfeld für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Seit letztem April haben wir eine gemeinsame Leitung. Eine Kollegin von mir und ich. Es macht Spaß, und es ist auch herausfordernd. Es war mit der Diözese ein Ringen, dass es in ihre Strukturen passt. Mir war und ist wichtig, dass Gerechtigkeit auch klein buchstabiert wird. Das ging bis dahin, dass ich meiner Kollegin gesagt habe: Ich kann nicht mehr in diesem Hochschulpfarrerbüro bleiben. Mir wurde da erst bewusst, wie viele Privilegien ich habe, die nur darauf zurückzuführen sind, dass ich ein Priester-Mann bin. Es mag vielleicht lächerlich oder wenig bedeutend klingen. Als ich ankam, gab es z.B. eine Garage, die für den Hochschulpfarrer reserviert war. Ich hab seit Jahren kein Auto mehr, was dieses zusätzlich Privileg ad absurdum geführt hat. Und eben das Büro. Mit meiner Kollegin habe ich überlegt, dass die gemeinsame Leitung vermutlich nur funktioniert, wenn ich aus dem bisherigen Büro rausgehe. Und so haben wir alle unsere Büros gewechselt im letzten Semester. Da gab es dann so einen Punkt, wo ich gemerkt habe, was ich sehr alltäglich an kleinen Privilegien verliere: Der Zugang zu den Sekretärinnen ist nicht mehr so unmittelbar. Das andere Büro war größer, hatte einen Zugang zum Hof. Es ist ja lächerlich, aber es ist Machtabgabe. Und dann hab ich mir gedacht, dass manchmal die Machtabgabe mit viel banaleren Dingen beginnt, als wir oft glauben.
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Iran - Frau, Leben, Freiheit
von Ein Essay von Gilda Sahebi
Viele Menschen protestierten in den vergangenenWochen im Iran gegen Repression und für Freiheit. Vorneweg gehen dabei die Frauen.
Sie spielen im Basketball-Nationalteam. Sie sind Schauspielerinnen. Sie sind Transfrauen. Sie sind Mütter. Sie sind Bogenschützinnen. Sie sind Kletterinnen. Sie sind Sängerinnen. Sie sind Ärztinnen. Sie sind Studentinnen. Sie sind überall in der iranischen Gesellschaft: Frauen, die ihr Kopftuch öffentlich ablegen, um für ihre Freiheit und für die Freiheit aller im Iran zu demonstrieren. Sie tun dies in dem Wissen, dass sie dafür inhaftiert, vergewaltigt, misshandelt und getötet werden können. Und sie tun es dennoch.
Seit Mitte September erreichen uns jeden Tag Videos, Fotos und Berichte aus dem Iran, die den üblichen Blick infrage stellen, den viele im Westen auf den sogenannten Nahen Osten haben. Beeinflusst von der medialen Berichterstattung, von Einlassungen aus der Politik, von Klischees und Vorurteilen, sah man die Frauen in Ländern wie Iran, Afghanistan oder Irak lange als schwach an, als Menschen, die sich in einem Zustand der Unterwerfung eingerichtet haben.
Jahrelanger Kampf im Verborgenen
Wer aber Verbindungen in die Region hatte, sah etwas anderes und kannte die Netzwerke der Frauen, ihre Stärke und ihre Kämpfe im Alltag, die viele schon seit Jahren oft im Verborgenen führten. Im Iran sind diese Kämpfe nun nicht mehr versteckt: Die Frauen wehren sich offen und mutig gegen die Gewalttätigkeit und Repression des Regimes. Sie kämpfen dabei nicht allein. Viele stehen an ihrer Seite, zahlreiche Männer, die LGBTI-Community, die Kurd*innen, die Belutsch*innen, die Sunnit*innen, die Afghan*innen und andere Minderheiten, die in der Islamischen Republik seit Jahrzehnten unterdrückt werden. Eine Frau aus Teheran, die sich seit Beginn an den Protesten beteiligt, schildert ihre Beobachtungen: „Alle sind auf den Straßen. Und die Frauen sind ganz vorne mit dabei. Alle schauen auf die Frauen, denn sie sind die Anführerinnen. Das ist großartig.“
Um die Wucht des Widerstands und des Kampfs zu verstehen, muss man die Wucht der Unterdrückung kennen. Es wurde bereits viel darüber geschrieben, dass Frauen in Iran rechtlich nur die Hälfte eines Mannes wert sind. Vor Gericht müssen zwei Frauen aussagen, um der Aussage eines Mannes gleichzukommen; bei einem Autounfall erhält die Familie einer Frau nur die Hälfte der Entschädigung, die die Familie eines Mannes bekommt. Frauen können sich nicht einfach scheiden lassen, den Männern steht das Sorgerecht für die Kinder zu. Bekannt ist auch, dass Frauen weder öffentlich singen noch tanzen dürfen, dass sie sich verschleiern und den Kleidervorschriften beugen müssen.
Frauenhass als Staatsdoktrin
Doch was heißt das für den moralischen und gesellschaftlichen Stellenwert eines Frauenlebens? Der Geistliche Sadeq Shirazi drückte es so aus: Gott habe drei Arten von Tieren geschaffen. Zum einen Tiere, die dafür geschaffen wurden, die Menschen zu transportieren, wie Pferde und Kamele. Dann Tiere, die erschaffen wurden, um Menschen zu ernähren, wie Ziegen, Schafe und Kühe. Die dritte Art von Tieren seien die Frauen. Wie Ziegen, Schafe und Kühe seien sie geschaffen worden, damit Männer sie benutzen könnten. Gott habe diesen Tieren das Aussehen von Frauen gegeben, damit Männer keine Angst vor ihnen haben müssten.
Shirazi ist im Iran ein bekannter und einflussreicher Kleriker. Sein Blick auf Frauen ist repräsentativ für den Blick der theologischen Fundamentalisten. Dieser menschenverachtende Blick auf Frauen ist Staatsdoktrin. Er führt dazu, dass Frauen als Objekte gelten und systematischer sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind – ausgeführt von Männern, die trainiert werden, Frauen zu vergewaltigen und zu ermorden. Im November veröffentlichte der US-Nachrichtensender CNN einen Bericht von der iranisch-irakischen Grenze, in dem eine Frau zu Wort kam, die sexualisierte Gewalt in einem iranischen Gefängnis erlebt hatte, bevor sie fliehen konnte. CNN erhielt zudem geleakte Berichte von medizinischem Personal aus Kliniken, in denen Vergewaltigungsopfer behandelt wurden. Die Täter waren staatliche Milizionäre und Beamte.
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